Induzierte Laktation - Ein Fallbeispiel

Nicole, Martina und Paul Vincent aus Berlin Neukölln

Wir sind ein verheiratetes, lesbisches Ehepaar aus Berlin Neukölln. Nicole ist 34 Jahre alt, Martina 39. Seitdem wir ein Paar sind, bestand bei uns der Wunsch irgendwann unsere eigene kleine Familie zu gründen. Im Februar 2019 entschieden wir uns dazu, unseren Kinderwunsch mit Hilfe einer Kinderwunschbehandlung in einer Berliner Kinderwunschklinik umzusetzen. Nach einer IVF wurde Martina bereits im ersten Versuch schwanger.

Schon zu diesem Zeitpunkt überlegten und sprachen wir darüber, ob es vielleicht möglich wäre, dass auch ich als nicht austragende Mutter, jedoch als gesunde junge Frau unser Baby nicht auch stillen könnte. Schnell stießen meine Frau und ich auf das Thema der Induzierten Laktation und Adoptivstillen. Wir sprachen darüber, doch vorerst rückte das Thema einige Monate in den Hintergrund und wir genossen die unkomplizierte Schwangerschaft . Erst ca. 8 Wochen vor dem Entbindungstermin unseres Sohnes Paul, vereinbarten wir einen Termin bei einer IBCLC in Berlin. Die kurze Wartezeit vom Telefonat bis zum Termin in der Praxis reichte dennoch aus, um zumindest bei mir gewisse Zweifel an unserem gemeinsamen Stillprojekt aufkommen zu lassen. So war ich insbesondere darum besorgt, dass sich zwischen mir und Martina eine eher konkurrierende als kooperative Situation entwickeln könnte. Wir wussten auch nicht, inwieweit eine Anregung der Laktation bei mir überhaupt funktioniert und vor allem, wie man dann das gemeinsame Stillen grundsätzlich organisiert.
Unsere IBCLC war im Erstgespräch absolut offen und ehrlich zu uns. „Ihr könnt alles so machen wie ihr es möchtet“. So sprachen wir also eine ganze Weile über unsere Wünsche und Vorstellungen zum gemeinsamen Stillen. Am Ende des Gesprächs hatten wir dann gemeinsam einen Plan zur Umsetzung unseres Wunsches des gemeinsamen Stillens erstellt und an diesem orientierten wir uns in den nächsten Wochen bis zur Geburt unseres Sohnes.
Da wir uns aus Unwissenheit erst sehr spät an unsere IBCLC gewendet haben und der Entbindungstermin nicht mehr in allzu weiter Ferne lag, entschied ich mich dafür mithilfe von Domperidon (3 Mal täglich jeweils 30mg), sowie mit Brustmassagen meine Milchbildung anzuregen.

Da wir wenige Tage später in den Ostseeurlaub fahren wollten, entschieden wir uns dafür im Urlaub mit dem Procedere zu beginnen. Es war für mich in dieser Zeit leichter, 8-12 Brustmassagen in den Tagesablauf zu integrieren. Und siehe da, bereits nach ca. 5 Tagen mit Brustmassagen und Domperidon, produzierten meine Brüste sehr zaghaft die ersten Tropfen Milch.
Wieder zuhause war aber sehr schnell klar, dass ich mir eine Doppelmilchpumpe zulegen werde. Da ich nach dem Urlaub wieder in Vollzeit zur Arbeit ging, war es mir nicht möglich so häufig wie im Urlaub die Brustmassagen durchzuführen. Ich begann also bereits am Morgen vor der Arbeit mit einer Doppelmilchpumpe Abzupumpen. Dies wiederholte ich mehrmals täglich, am Abend dann immer in Form von Powerpumpen. Und mithilfe der Milchpumpe kam letztendlich bei mir die Milchbildung erst richtig in Schwung.

Als unser Sohn im Januar auf die Welt kam, hatten wir bereits viele hundert Milliliter meiner Muttermilch in unserem Tiefkühler eingefroren. Und als ich unseren Sohn das erste Mal noch im Kreissaal anlegte, das war ein absolut überwältigendes Gefühl.
Unser Sohn kam in einer anthroposophischen Klinik in Berlin zur Welt und wir erhielten beim Stillen viel Unterstützung. Dass allerdings beide Mütter das Baby stillen, das sorgte bei allen für Erstaunen aber auch für Bewunderung. Selbst in diesem sehr stillfreundlichen Haus waren wir bislang das erste lesbische Paar, dass sein Baby gemeinsam stillt.
In Absprache mit unserer IBCLC legte immer erst Martina unseren Sohn an, da ja bei Ihr erst noch die Milchbildung einsetzen musste. Direkt im Anschluss konnte Paul dann bei mir stillen, was er auch ganz selbstverständlich tat. Als dann am dritten Tag bei Martina der Milcheinschuss einsetzte und Paul bei Ihr ebenfalls ordentlich stillen konnte, ging auch sein Gewicht konstant nach oben. Beim Stillen jedoch begannen nun Pauls und meine Probleme. Sie waren zwar im Rückblick zwar nur von kurzer Dauer, aber dennoch gingen wir zu dritt durch eine kurze, aber heftige Stillkrise.

Nicht nur die Anatomie unser Brüste unterscheidet sich, auch der Milchspendereflex setzt bei mir später ein. Und als unser Sohn wenige Tage alt war verweigerte er das Stillen an meiner Brust, wo es doch bei meiner Frau so viel einfacher war und er in Milch fast ertrank.
Ich war am Boden zerstört, ich fühlte mich von unserem wenigen Tage alten Baby abgelehnt. Immer wenn ich ihn anlegen wollte, schrie er sich gefühlt die Seele aus dem Leib. Nach einem Tag voller stressiger Stillversuche, die einfach nicht funktionieren wollten, beschloss ich eine Pause einzulegen. Wir mussten erstmal wieder alle unsere Nerven beruhigen, durchatmen und ich tauschte mich mit unserer Stillberaterin aus. Unsere Stillberaterin war immer ansprechbar für mich, sie unterstütze meinen Plan der Stillpause, ich sollte aber trotzdem versuchen unseren Sohn anzulegen, selbst wenn er nicht länger stillen würde, so wäre das Anlegen trotzdem wichtig. Ich begann also wieder konsequent mehrmals am Tag abzupumpen, nahm weiterhin dreimal täglich 30mg Domperidon und auch durch den Zuspruch unserer Stillberaterin kauften wir ein Brusternährungsset. Nach einigen Tagen begann ich wieder unserem Sohn anzulegen, auch wenn er sich nur 30 Sekunden oder 2 Minuten sich anlegen ließ, das war besser als gar nichts. Abends stillte ich ihn dann mit dem Brusternährungsset und meiner abgepumpten Milch, zumindest das funktionierte. Und nach ca. 14 Tagen legte ich mich, ohne darüber nachzudenken, mit unserem Sohn in unser Bett, er dockte bei mir an und stillte im Liegen als hätte er nie etwas anderes getan. Es war als hätten wir nie ein Stillproblem gehabt. Ich war unglaublich erleichtert und glücklich. Von diesem Moment an gab es bis heute keine Stillkrise mehr. Im Nachhinein bin ich und Martina unglaublich froh darüber, dass wir durch unsere Stillberaterin und auch durch unsere Hebamme soviel positive Unterstützung und Zuspruch erhalten haben.

Mir und Martina war definitiv nicht bewusst, was für ein Unterfangen die induzierte Laktation darstellen wird. Es braucht viel Zeit und es kostet auch Nerven. Da mir sämtliche Schwangerschaftshormone fehlten und mir, bzw. meiner Brust anstatt langer 10 Monate Schwangerschaft lediglich wenige Wochen bis zur Geburt unseres Sohnes blieben, bin ich heute umso glücklicher darüber, dass ich unseren Plan des gemeinsamen Stillens nie aufgegeben habe und es mit Brustmassagen, Abpumpen und der Einnahme von Domperidon quasi fast zum vollstillen geschafft habe. Eine Konkurrenz beim Stillen zwischen mir und Martina gibt es nicht. Unser Sohn ist mittlerweile 6 Monate alt und nach und nach haben wir das Stillen für uns zeitlich sehr gut organisiert. Ich stille unseren Sohn am Morgen, an der Arbeit pumpe ich einmal ab und ab dem Nachmittag übernehme ich dann wieder das Stillen, nachts wechseln wir uns beim stillen ab. Bis heute nehme ich dreimal täglich je 10 mg Domperidon als Erhaltungsdosis. Ein komplettes Ausschleichen hat leider noch nicht funktioniert, da sich meine Milchmenge durch das komplette Absetzen des Domperidon leider zu stark reduziert hat und unser Sohn dies deutlich zeigte. Vielleicht funktioniert das endgültige Absetzen in einigen Monaten. Da ich aber bis heute nie Nebenwirkungen durch das Domperidon hatte, scheinen mir, unserer IBCLC und der verordnenden Gynäkologin die 30 mg Domperidon täglich als vertretbar.
Bis heute haben wir keine negativen Erfahrungen mit unserem Projekt gemacht. Ganz im Gegenteil, jeder Außenstehende der davon hört ist erstaunt darüber, dass Stillen ohne ein Kind geboren zu haben überhaupt möglich ist.

Unser Sohn entwickelt sich völlig altersgerecht. Er ist ein ausgeglichenes und fröhliches Baby. Es macht uns glücklich, wenn er glucksend zwischen uns im Familienbett liegt und sich mal zur rechten Seite dreht um bei Mama Nicole zu stillen und nach drei Schlucken abdockt, sich nach links dreht um dann bei Mama Martina noch ein paar Schlückchen zu stillen. Das macht ihm sichtlich Spaß!

Ich, Martina, als leibliche Mutter bin sehr glücklich darüber, dass das Stillen bei Nicole und Paul so gut funktioniert. Stillen ist so viel mehr als Nahrung. Das sieht man bei Nicole und Paul sehr deutlich, ich bin mir nicht sicher ob beide eine so innige, liebevolle und außergewöhnlich enge Bindung zueinander hätten ohne das Stillen. Es war für meine Frau zeitweise mit viel Organisation und Stress verbunden ihre Milchbildung anzuregen, dann kam die Stillkrise als unser Sohn wenige Tage alt war. Die Tage dieser Stillkrise im Wochenbett waren sehr anstrengend und gefühlt lagen wir zu dritt emotional völlig erschöpft und weinend im Bett. Und trotzdem haben wir unser Ziel nicht aus den Augen verloren und haben einen guten Weg gefunden, sodass ich heute sehr, sehr stolz bin auf meine Frau. Sie und unseren Sohn gemeinsam beim Stillen zu sehen, dass ist auch nach 6 Monaten für mich noch immer wunderschön.
Jedes lesbische Paar und jede Adoptivmutter, die sich für den Weg der Induzierten Laktation entscheidet, den können wir beide, Nicole und Martina, nur ermutigen diesen Weg zu gehen. Es lohnt sich.